Das Leben ist kein Freundschaftsspiel

Heimweh

Ich saß an meinem Fenster und blickte über die Stadt. Vergeblich hielt ich ausschau nach den Spitzen des Kölner Doms. Noch immer hatte ich mich nicht an meine neue Umgebung gewöhnt, dabei lebten wir doch schon seit knapp 4 Wochen hier in Hamburg. Ich vermisste Köln. Dort war ich aufgewachsen, dort hatte ich meine Freunde. Doch all das hatte ich für meine Eltern aufgeben müssen. Meine Mutter hatte schon lange mit einem Job hier spekuliert, sich aber wegen mir zurückgehalten. Als jedoch auch mein Vater ein Jobangebot aus Hamburg bekam beschlossen beide ihr Glück hier zu suchen und nahmen die Stellen an. Ich erinnerte mich nur zu gut an die Worte meines Vaters. " Vergiss nicht, es geht um unsere Familie und nicht um dich." Natürlich ging es hierbei auch um mich! Wer opferte alles ohne es selber zu wollen? Ich! Aber war ja nichts neues. Egoistisch war er schon immer gewesen und von einer `Familie` konnte man bei uns auch nicht sprechen. Immer ging es nur nach seinem Willen. Ich musste die besten Argumente hervorbringen um ihn überhaupt davon zu überzeugen, das meine Freunde wirklich der `richtige Umgang`für mich waren. Als ob ich das nicht selbst beurteilen könnte. Ein Gutes hatte unser Umzug aber. Ich musste kein Volleyball mehr spielen. Mein Vater war Coach der städtischen Volleyball-mannschaft gewesen, die schon 4 mal in Folge Regionalmeister geworden war und er wollte, das ich auch eine Spitzenspielerin wurde. Nur leider kam ich mit der Mannschaft überhaupt nicht aus, sodass wir alle Spiele verloren. Mein Vater sah das jedoch als Anlass mich noch weiter zu trimmen.Ohne Erfolg. Nun war ich hier und würde mich bestimmt nicht mehr bei irgendeiner Volleyballmannschaft anmelden. Nie wieder. Volleyball war für mich abgehakt. Dafür hatte es mir eine andere Sportart besonders angetan. Mein blick blieb an ein paar Jungs im Hof hängen, die gegeneinander Fußball spielten. Fußball. Meine Hände verkrampften sich. Vor einigen Tagen hatte mein Vater Wind von meiner neuen Lieblingssportart bekommen und war, wie ich es nicht anders erwartet hätte, überhaupt nicht davon angetan gewesen. " Fußball ziemt sich nicht für Mädchen! Überlass das lieber den Jungs und such dir was Anständiges!" Er war richtig aufgebracht gewesen und hatte mir Hausarrest bis zum Ende der Woche erteilt. Aber wer sollte schon prüfen ob ich mich daran hielt. Beide arbeiteten doch ganztags und Angestellte hatten wir auch keine. Langsam stand ich auf und öffnete meinen Kleiderschrank. Meine Freunde hatten mich immer um meine "heile" Familie beneidet. Nach außen hin sah es wirklich so aus. Wir lebten zusammen, im Gegensatz zu vielen Anderen und ich bekam auch noch eine ordentliche Summe Taschengeld. Ich bekam. Mitlerweile war auch das nicht mehr der Fall. Schnell zog ich mir meine Trainingshose und mein altes Volleyball Trikot mit der Nummer 7 an, bevor ich meinen Schlüssel und mein weniges, mühsam gespartes Geld in die Tasche steckte. Reichte das um mir einen Ball zu kaufen? Ich hoffte, das dem so war und verließ die Wohnung.

Auf dem Hof vor unserem Haus sah ich wieder die Jungs spielen. Einer von ihnen lächelte mich an. " Hier, Pass!" und schon kam der Ball auf mich zugeflogen. Meine Reaktion war zu langsam und der Ball verfehlte mich." Oh, tut mir Leid.Warte einen Moment." Schnell rannte ich dem Ball hinterher und spielte ihn zurück zu dem Jungen. Er konnte nicht älter als 8 oder 9 Jahre alt gewesen sein, grinste immernoch und sah zu mir hoch. "Duu, spielst du eine Runde mit? Wir brauchen noch einen Torwart!" Mit diesen Worten deutete er auf eine Mauer an die mit Kreide die Umrisse eines Tores gemalt worden waren. "Na ok, aber nur eine Runde, einverstanden?" Der kleine Junge juchzte und hüpfte herum. Das deutete ich mal als ja und stellte mich ins Tor. Eine Runde musste genügen, schließlich hatte ich heute noch genug Anderes zu erledigen. Ich lehnte mich an die Mauer und sah den Kleinen beim Spielen zu. Sie spielten gut. Auf jeden Fall besser als ich, was ja nicht allzu verwunderlich war. Schließlich kam ich, dank meinen Eltern, nie zum Fußballspielen und wenn, dann nur beim Schulsport. Aber das war wieder eine andere Nummer. Ich war so sehr in meinen Gedanken versunken, das ich das "VORSICHT!" kaum hörte und nur noch im letzten Moment reflexartig einen Hechtsprung machte um den Ball abzuwehren. Etwas überrumpelt lag ich am Boden und hielt den Ball umklammert während der kleine Junge das Applaudieren anfing. " Super Parade!" jubelte er und die Anderen in seiner Mannschaft stimmten mit ein. Das ich diesen Ball noch bekommen hatte verdankte ich alleine meiner Volleyballerzeit. War es möglich, das mir diese verhasste Zeit jetzt doch noch mal nützlich war? "Also so toll war das jetzt auch nicht!" sagte ich und stand auf. Ich warf den Ball ein und das Spiel ging weiter.Noch einige Male kamen sie bedrohlich nah ans Tor, aber ich konnte alle Bälle halten. Ihre Schusskraft war eben noch nicht so ausgeprägt wie bei älteren Spielern. Langsam fand ich Spaß daran im Tor zu stehen und war richtig deprimiert als das Spiel vorbei war. Wir hatten zwar 7:0 gewonnen, aber es hatte einfach so viel Spaß gemacht, das wir die Tore eigentlich nicht wirklich gezählt haben. Nun musste ich wohl weiter um meine restlichen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Am Ausgang des Hofes blieb ich noch einmal kurz stehen und drehte mich um." Hey" rief ich und die Jungs sahen von ihren Gesprächen auf."Kann ich das nächste Mal wieder mitspielen?" "Natürlich darfst du!" erklang die mehrstimmige Antwort. "Gut, wir sehen uns dann hier" Ich winkte ihnen noch einmal zu und wollte weitergehen als mich einer aus der Truppe am Trikot festhielt und mich fragend ansah "Wie alt bist du eigentlich?" "14" antwortete ich und ging.

Kurze Zeit später stand ich an einer Kreuzung und wusste nicht mehr weiter. Links? Rechts? Oder doch geradeaus? Ich hätte mir vorher einen Stadtplan ausdrucken sollen. Daran merkte man, das ich noch nicht so lange hier lebte. Ich hatte absolut keinen Plan von der Stadt. Kopfschüttelnd lief ich in das nächste Café, es nannte sich Relax, um dort nach dem Weg zu fragen. "Entschuldigen sie. Wo finde ich den nächsten Sportladen?" Die Frau hinter der Theke sah von ihrer Arbeit auf. "Wieso wollen sie das wissen, junge Lady?" Junge Lady...ich musste lächeln "Ich möchte mir einen Ball kaufen, nur leider sind wir erst vor kurzem hierher gezogen, sodass ich noch keine ausreichenden Kenntnisse über diese Stadt besitze.Können sie mir weiterhelfen?" "Aber gewiss! Warten sie einen Moment!" Und schon war sie verschwunden, nur um kurz darauf mit einem Zettel in ihrer Hand wieder aufzutauchen.
"Hier, Fräulein. Eine Wegbeschreibung zum besten Sport und Fußballladen in der Stadt." Sie zwinkerte mir zu. "Sie werden noch sehr weit kommen, glauben sie mir. Das sehe ich ihnen an!" Perplex stand ich bestimmt 5 Minuten da, ehe ich mich doch zusammenreißen konnte und mich bedankte. Die Frau winkte ab."Das ist doch selbstverständlich!Viel Glück." Und als sie sich umdrehte um sich wieder ihrer Arbeit zuzuwenden sah ich, das sie ein Trikot des Hsv trug.
Wenigstens gab es hier nette Menschen. Das machte den Umzug doch deutlich leichter.

Dank der selbstgeschriebenen Wegbeschreibung stand ich kurze Zeit später vor einem unscheinbaren Laden in einer Seitenstraße. Doch die Frau hatte nicht zu viel versprochen, denn als ich hinein ging, sah ich alles, was das Fußballerherz begehrte. Da ich aber nur vorhatte einen Ball zu kaufen, beließ ich es auch dabei und ging auf das Regal zu, wo alle möglichen Bälle aufgereiht standen. Letztendlich entschied ich mich für einen klassisch schwarz-weißen Ball und spatzierte stolz aus dem Laden. Mein Geld hatte gerade so gereicht und nun hoffte ich, das mein Vater mir wenigstens den Ball lassen würde. Als ich noch einmal auf den Zettel sah, den mir die Frau gegeben hatte, bemerkte ich noch ein paar Zeilen auf der Rückseite. " Wenn du einen Ort zum trainieren suchst folge einfach der Straße. Wenn du den dortigen Trainer fragst und ihm diesen Zettel zeigst, wird er dich sicherlich dort trainieren lassen." Hm, klang doch garnicht schlecht. Dann hatte ich wenigstens einen Grund mehr noch nicht nach Hause zurückzugehen. Ich folgte der Straße und tatsächlich sah ich am Ende eine Trainingsanlage. Ich beschleunigte meine Schritte und als ich dort ankam sah ich einen Mann abseits des Fußballfeldes stehen."Hallo, entschuldigen sie, sind sie Trainer?" sind sie Trainer...klang irgenwie seltsam, aber was besseres fiel mir in diesem Moment nicht ein. Der Mann drehte sich um."Ja bin ich. Worum geht es?" Ich zeigte ihm den Zettel. "Eine Frau aus dem Caffè hat mir gesagt, ich könne hier trainieren...stimmt das?" Er sah sich den Zettel an und seufzte. "Typisch Joselyn. Ja, du darfst....Aber nur weil du gefragt hast..." und kaum merklich fügte er hinzu "..und weil Joselyn mal wieder die Klappe nicht zubekommen hat" Das zweite überhörte ich geflissentlich. "Super!" jubelte ich und sah meine Chance. "Eine Sache möchte ich aber noch mit ihnen besprechen!" Der Trainer gab mir den Zettel zurück. "Und was möchtest du besprechen?" "Dazu komme ich jetzt" sagte ich und fing an ihm alles zu erzählen.
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