Fanfic: Jeder hat sein Päckchen
Kapitel: Jeder hat sein Päckchen
Jeder hat sein Päckchen
Abwartend sitze ich auf einem der Stühle unserer Aula. Überall um mich herum herrscht Getöse, doch ich verspüre nicht das Bedürfnis mich an dem regen Treiben zu beteiligen. Ich höre den anderen lieber nur zu, schließlich habe ich auch nichts besonderes zu erzählen.
Es ist bereits kurz nach zwölf, als unser Direktor, ein hochgewachsener, sportlicher Mann, endlich den Raum betritt. Er ist in Begleitung zweier Erwachsener, einer blonden, jungen Frau, und einem ebenfalls jungen braunhaarigen Mann.
Ich kann mir nicht helfen, aber die beiden sind mir auf Anhieb sympathisch, sie machen einen fröhlichen und lockeren Eindruck, finde ich.
"Schön das ihr alle da seid. Wir sind, wie ihr ja alle wisst, heute hier um einen 'Anti-Mobbing' Workshop zu machen.", beginnt der Mann, der sich als Sören Petersen vorstellt.
Manchmal frage ich mich, ob die Lehrer wirklich so naiv sind. Mein Stufe, die elfte, hatte seit wir auf diese Schule gekommen sind, bereits unzählige 'Anti-Mobbing' Aktionen. Plakate, Projekte, sogar ein Selbstbewusstseinstraining, nicht das es etwas gebracht hätte. Entgegen der Hoffnung unserer Lehrer hat es natürlich nichts bewirkt.
Man hört mehr oder minder aufmerksam zu, nickt es ab, und nichts ändert sich.
Früher war ich auch ein Mobbingopfer, also spreche ich aus Erfahrung wenn ich das sage. Fakt ist jedenfalls, dass jetzt, wo wir in Kursen eingeteilt sind, und gemischt wurden, und man manche nicht mehr sieht, das Interesse nachlässt. Lediglich hier und da ein paar herablassende Blicke oder spitze Bemerkungen, mehr nicht.
Deshalb erschließt sich mir der Sinn der Veranstaltung nicht, das sollten sie lieber bei den unteren Klassen machen. Die meisten sehen das genauso, beschweren tun sie sich aber nicht, schließlich entfallen so ihre LK Stunden heute.
Interessiert verfolge ich, wie sich so ziemlich alle, bereits mit ihrem Handy beschäftigen. Es hat nur wenige Sekunden gedauert, dann führen sie, über SMS oder Facebook, ihre Gespräche von vorhin weiter.
Nach zwei Stunden, in denen unter anderem auch ein Film gezeigt wurde, werden wir entlassen. Ich gehöre zu den glücklichen, die jetzt schon Schulschluss haben. Gemächlich trotte ich zu meinem Fahrrad und mache mich auf den Weg nach Hause.
Nur Sekunden nachdem ich an unserer Haustür geklingelt habe, trotz meiner fünfzehn besitze ich keinen Haustürschlüssel, erscheint meine Mutter in der Tür. Automatisch schaltet sich mein Gehirn auf Standby, das hilft, um nicht ganz durchzudrehen. Auf ihre tägliche, schon längst zur Routine gewordenen Frage nach meinem Schultag, antworte ich wie jedesmal mit einem 'Wie immer.'
Schweigend stopfe ich ein wenig des Mittagessens in mich hinein, bevor ich hinauf in mein Zimmer haste. Nach den Hausaufgaben, dieses Jahr habe ich mir vorgenommen sie nicht wie zuvor nachts zu erledigen, setze ich mich mit meinem Laptop aufs Bett.
Ich rufe den Browser auf und suche nach der Frau, Sophie Koch. Sie interessiert mich, mich fasziniert ihre positive Ausstrahlung.
Neben ihrem 'Job' als Sozialarbeiterin ist sie auch Jugend- und Familientherapeutin und Psychologin. Ziemlich beeindruckend, wie ich finde. Zugegeben, ich finde Psychologen merkwürdig, selbst wenn ich noch nie bei einem war, ich kann mir nicht wirklich vorstellen, einem fremden meine Probleme zu offenbaren. Wenn aber alle so freundlich wirken wie Frau Koch, muss ich das wohl nocheinmal überdenken.
Ich hänge noch ein paar Minuten meinen Gedanken nach, ehe ich unten die Eingangstüre höre.
Mein Vater ist wieder zu Hause.
Mit geschlossenen Augen greife ich links auf meinen Nachttisch und stöpsle mir die Kopfhörer ein, bevor ich die Musik aufdrehe und nichts mehr von meiner Umwelt zu mir durchdringt.
Müde schalte ich meinen Wecker aus und schlurfe ins Badezimmer. IM Haus ist es totenstill, ein sicherer Beweis dafür, dass meine Eltern einmal mehr verschlafen haben.
Ich weiß genau, wenn ich sie jetzt nicht wecke, werden sie nachher sauer sein und ihre schlechte Laune wird wieder greifbar sein. Andererseits, wenn ich sie jetzt aufwecke, werden sie mir wieder unnötigen Stress machen, obwohl ich genug Zeit habe.
Also genieße ich die letzten entspannten Minuten, bis es Zeit werden wird zur Schule zu gehen. Indem ich sofort nach dem raschen wecken das Haus verlasse, hoffe ich ihrer Laune zu entkommen und bin sogar recht erfolgreich.
Es ist noch dunkel, schließlich ist es bereits Mitte November und mein Atem wirft kleine helle Wölkchen in die kalte Luft. Innerlich rüge ich mich dafür, vorhin in der Eile die Handschuhe liegen gelassen zu haben, aber daran kann ich nun nichts mehr ändern.
Im Deutschunterricht, meinem LK, lassen wir den gestrigen Workshop Revue passieren und diskutieren etwas darüber. Alle sind froh, so um den Unterricht herumzukommen, 'Kabale und Liebe' erfreut sich hier keiner besonders großer Beliebtheit. Wie immer halte ich mich im Gespräch zurück, doch daran sind meine Lehrer mittlerweile gewöhnt, ich rede eben ungern.
Bevor die Stunde vorbei ist, werden wir nocheinmal daran erinnert, dass die Nummer der Sozialarbeiter am schwarzen Brett hängt, dass wir uns an sie wenden können, wenn wir mal Hilfe brauchen sollten.
Der restliche Schultag verläuft ohne nennenswerte Vorkommnisse, wenn man von meiner Einbildung absieht, die glaubt, Frau Koch auf dem Schulhof gesehen zu haben. Letztendlich schließe ich, dass es wohl eine Täuschung gewesen sein muss, immerhin laufen hier einige blonde lehrerinnen herum, da kann man sich schon einmal irren.
In meiner Freistunde hatte ich die Englischlektüre gelesen, um zu Hause weniger zu tun zu haben, denn während der Mittwoch mein kürzester Schultag ist, ist der Donnerstag der längste. Dann bin ich nämlich erst um zwanzig nach vier, und somit ein paar Minuten nach meinem Vater zu Hause.
Auf dem Rückweg halte ich an einer Bäckerei und kaufe mir einen Kaffee. Erst als ich ihn gemütlich an mein Fahrrad gelehnt ausgetrunken habe, fahre ich wirklich nach Hause. Auf die Frage meiner Mutter, wo ich solange gewesen wäre, sie hätte sich sorgen gemacht, murmle ich etwas von 'der Lehrer hat überzogen'. Ich sehe ihr an, das sie mir nicht glaubt, doch es ist mir egal. Im Wohnzimmer höre ich meinen Vater auf dem PC tippen, und ich klinke mich gedanklich wieder aus.
Donnerstags verzichte ich immer auf das Mittagessen, denn ich habe keine Lust, mich mit den beiden an einen Tisch zu setzen. In meinem Zimmer öffne ich sofort ein Fenster, ich mag es, wenn es kalt ist, besonders, wenn ich mich dann in eine warme decke einwickeln kann, mit einem guten Buch und einfach meine ruhe habe.
Vielleicht könnte ich das nach den Hausaufgaben mal wieder machen?
Der Psychothriller in meinen Händen ist wirklich spannend. Der Autor spielt mit der Wahrnehmung und der Psyche des Lesers und des Protagonisten. Ob Psychologen wirklich so handeln wie in dem Buch beschrieben?
Am nächsten Tag fehlt ein Mädchen aus meinem Biokurs, normalerweise nichts ungewöhnliches, aber als jemand unseren Lehrer darauf hinweist, erwidert er, dass er bereits darüber informiert sei. Das finde ich merkwürdig.
Das Mädchen, Alex, fehlt noch drei weitere Schultage, ehe ich sie wieder auf dem Schulgelände sehe. Sie wirkt verändert, zwar hat sie nie sonderlich traurig gewirkt, dennoch finde ich, dass sie einen erleichterten Eindruck macht.
Erneut einige Tage später passierte wieder etwas ungewöhnliches. Es war in meiner dritten Stunde, als ich plötzlich umkippte. Zuerst dachte mein Sitznachbar, ich wäre lediglich eingeschlafen, aber als ich auch nicht aufwachte, als ich vom Stuhl viel, bemerkte er das etwas nicht stimmte. Auch meine Französischlehrerin hatte das bereits bemerkt, und nachdem ich wieder wach war, brachte sie mich ins Lehrerzimmer.
Seit einigen Minuten sitze ich auf einem der Stühle, die für die Lehrer in den Pausen und Freistunden bestimmt sind. Ab und an trinke ich einen Schluck aus dem Wasserglas, ansonsten bin ich reglos. Die anwesenden Lehrer haben keine Fragen gestellt, was mich etwas irritiert hat, doch die Antwort darauf ist näher als gedacht.
Frau Koch und Herr Petersen betreten das Lehrerzimmer. Zuerst frage ich mich, ob sie schon wieder einen Workshop machen wollen, und bin dementsprechend überrascht als sie geradewegs auf mich zusteuern. "Du bist wohl Eva, oder?" Ich nicke nur und betrachte die beiden nun erstmals von nahem. Das ist einer meiner Ticks, andere Leute anstarren. Früher fanden das meine Mitschüler immer gruselig, denn wenn ich einmal angefangen habe, halte ich einige Minuten durch. Währenddessen denke ich über verschiedenstes nach und bekomme gar nicht mit wenn sie etwas zu mir sagen. Die beiden scheinen nicht irritiert, sondern wenden sich kurz an einen der anderen Lehrer und scheinen etwas zu besprechen. Endlich kann ich mich von den beiden lösen und blicke nun unsicher umher. Was wird jetzt von mir erwartet? Soll ich etwas sagen? Aufstehen? Einfach sitzen bleiben? Ich hasse so was, also mache ich das, was ich immer in solchen Situationen mache, auf dem Stuhl herumrutschen und abwarten.
"Wurden deine Eltern schon angerufen?", fragt Frau Koch. Ich schüttle den Kopf, hoffentlich macht sie meine Überzeugungsarbeit nicht zu Nichte. Es war eine Heidenarbeit die Lehrer mit möglichst wenigen Worten zu überzeugen, dass eben das nicht notwendig ist.
"Dann bringen wir dich nach Hause, dabei können wir auch gleich mit deinen Eltern reden.", beschließt Herr Petersen. Ich versuche nicht allzu geschockt auszusehen und mir eine gute ausrede einfallen zu lassen, warum das nicht geht. "Ich bin mit dem Fahrrad hier.", murmle ich, hoffe, dass das als Grund reichen wird. Natürlich nicht. "Auch wenn du vielleicht nicht nocheinmal umkippst, würde ich mich wohler fühlen, wenn wir dich wegbringen