Des Rächers Herzen - Unfähig zu lieben
Prolog
Im Schutze der Nacht erstreckte sich in allerhand Grau- und Schwarzschattierung eine riesige bewaldete Ebene. Soweit man blicken konnte, standen Bäume dicht an dicht, Blatt grenzte an Blatt, Ast an Ast. Waren die obersten Blätter der Wipfel auch vom silbrigen Sternenglanz angehaucht, herrschte unter den mächtigen Astwerken tiefste, dunkelste Finsternis. Hätte man versucht, sich durch das Gestrüpp aus Hecken, mannshohen Sträuchern und Baumstämmen zu kämpfen, so hätte das Auge nicht einmal die Konturen der eignen Hand ausfindig machen können.
In diesem Wald herrschte ohnehin niemals richtig Licht. Auch des Tages nicht, denn selbst den Strahlen der stärksten Mittagssonne war es unmöglich, das dichte Blätterdach der Baumwipfeln zu durchdringen. Vom milchigen Schimmer der Sternlein ganz zu schweigen!
Obgleich sich das Waldgebiet eine unschätzbar große Strecke, die bis weit hinter den Horizont reichte, in Anspruch nahm, wies es hier und da vereinzelte – wenn auch ausgesprochen kleine – lichte Stellen auf.
Dort, wo sich das Dickicht aus Bäumen teilte, sodass jene lichten Stellen überhaupt entstehen konnten, wuchsen doch rings um Hecken und Sträucher in einer solchen Dichte, dass man die Lichtungen erst finden konnte, wenn man sich schon auf selbiger befand.
Bei diesem schier endlos großen Wald handelte es sich um ein gott- und menschenverlassenes Grenzgebiet zwischen zwei Gebirgsketten. Hier herrschten Wolf und Bär, lebten Reh und Hase. Nur Holzfäller oder Jäger fanden beizeiten ihren Weg hier her. Allerdings war dies von ausgesprochener Seltenheit. Selbst wenn, so weit hinein wagte sich kaum jemand. Zu beschwerlich war der Weg.
Noch seltener ergab es sich, dass sich ein Trupp von Ninja hierher verirrte. Hierzu musste erst ein Konflikt zwischen den beiden angrenzenden Reichen ausbrechen und da diese überwiegend in Frieden neben- und miteinander lebten, war dies nur in dunkler, weit entfernter Vergangenheit geschehen.
Wenn es nicht gerade um kriegerische Handlungen, die Jagd oder das Fällen von Bäumen ging, taugte dieses Gebiet recht wenig: Bäume, Hecken und Sträucher standen zu dicht, als dass man hier Siedlungen gründen oder Felder hätte erschließen können. Eine Rodung zu diesem Zwecke hätte zu viel Arbeit in Anspruch genommen, die sich keiner zu machen brauchte, da der Platz zum Leben und Wirtschaften in beiden Grenzstaaten für die Bürger ausreichte. Es wäre also unnütze Arbeit gewesen, die man sich immer noch machen konnte, wenn es von Nöten war.
Und doch bot der Wald, war er noch so schwer zu durchdringen, einen unumstößlichen Vorteil: Man konnte sich wunderbar darin verbergen, wenn man ein Zusammentreffen mit irgendwem vermeiden wollte.
Auch Orochimaru, ein Nuke-Nin, Mörder und Verbrecher aus dem Dorfe Konoha Gakure stammend, dessen Namen weit über die Grenzen der fünf Ninja-Großmächte bekannt und vielerorts gefürchtet wurde, hatte dieses Fleckchen Erde einst für sich entdeckt. Wer den Großteil der gesamten Welt gegen sich weiß, kann die hiesige Gegend, in der die Menschen noch in Harmonie, ohne Zwietracht und unbehelligt von allem Bösen der Welt das Leben bestreiten, wunderbar als Zufluchtsort nutzen, ohne jemals ernsthaft befürchten zu müssen, von Feinden entdeckt zu werden.
Orochimaru hätte seinen Stützpunkt wahrscheinlich sogar mitten auf einer der Lichtungen errichten können, ohne jemals in Bedrängnis zu kommen. Wie gesagt, kaum ein Menschenauge hatte die Gegend jemals erblickt.
Aber dennoch hatte der Verbrecher Vorsicht vorgezogen und seinen Rückzugsort, an dem er nebenbei und größtenteils auch Experimente und Forschungen jeder erdenklichen Art mit allen erdenklichen Wesen vorgenommen hatte beziehungsweise durchführen hatte lassen, unterirdisch angelegt.
War er hier auch immer sicher gewesen, schlecht hatte er daran sicher nicht gehandelt: Überall auf der Welt hatte man ihn gejagt und ihn zu hetzten versucht. Aber ein Orochimaru, der sich vor etlichen Jahren die Unsterblichkeit zum Ziele gesetzt hatte, hatte sich niemals hetzen lassen. Wann immer ihn irgendjemand schon sicher in seiner Gewalt gewusst hatte, hatte er sich doch wieder befreien können.
Nicht umsonst war die Schlange das Tier, mit dem er sich stets selbst identifiziert hatte und als das er von so vielen beschrieben wurde. Er war niemals lange an einem Ort geblieben und hatte immerzu gepflegt, von Versteck zu Versteck zu ziehen. Wenn eines seiner Nester aufgespürt und geplündert worden war, hatte er sich eben an einem anderen Ort verkrochen und sich den Krallen der Jäger somit stets wie eine Schlange entwunden, ohne selbst sonderlich großen Schaden erlitten zu haben. Allerdings gibt es auch für diese Regel einige Ausnahmen zu bezeugen. Beim Kampf mit dem Hokage der Dritten Generation vor ein paar Jahren hatte er erheblichen Schaden genommen, der ihn aber letztlich auch nicht von seinen bösartigen Machenschaften hatte abhalten können.
In dieser Neumondnacht aber, die nur durch das milchige Schimmern der Sterne am schwarzen Himmel beschienen wurde, war es nicht Orochimaru, der unterwegs nach dem Versteck war, das sich in verworrenen Gängen unter dem Wald erstreckte.
Orochimaru selbst konnte es genau genommen gar nicht mehr tun, denn er war nicht mehr am Leben. Schon seit einigen Wochen nicht mehr.
Man könnte ahnen, es sei die Hand eines Feindes gewesen, die den gefürchteten Nuke-Nin zum Tod geleitet hatte. Es wäre die naheligendste Vermutung, nachdem Orochimaru schon seit unzähligen Jahren als Schwerverbrecher galt und überall in den Bingo-Büchern zu oberst geführt wurde. Aber, weit gefehlt.
Es war kein Feind, keine Allianz der Versteckten Dörfer, keine Verschwörung, die Orochimaru zu Fall gebracht hatte.
Im Gegenteil. Es war eine ihm sehr nahestehende Person gewesen, von der Orochimaru geglaubt hatte, nichts befürchten zu müssen: es war die Hand seines eigenen Schüler, den Orochimaru jahrelang unter seinen Fittichen stehen gehabt hatte, durch die einen der größten Verbrecher und Verräter aller Zeiten gestorben war. Der Name dieses Schülers lautet Uchiha Sasuke.
Und genau dieser lagerte in jener Vollmondnacht in Begleitung seiner drei Weggefährten, mit denen er das Team Hebi bildete, auf einer der raren, kleinen Lichtungen. Am folgenden Morgen würde er mit ihnen seinerseits nach dem Versteck Orochimarus aufbrechen, um den eignen Vorrat an Waffen und Lebensmitteln aus den Lagern des Stützpunktes aufzustocken.
Es war nicht zu erwarten, dort noch jemanden anzutreffen. Jetzt, wo die Schlange Orochimaru ausgelöscht war, hatten sich die allermeisten der Stützpunkte ja ohnehin beinahe von selbst aufgelöst. Die Nachricht, dass derjenige, der sie unterhielt, getötet worden war, hatte sich ausgesprochen schnell verbreitet. Wie ein Lauffeuer.
Die Gefangenen, an denen oftmals die grausamsten Experimente durchgeführt worden waren, hatte nichts mehr gehalten, weiterhin in den Zellen zu verrotten. Etwaige Aufseher, die es gewagt hatten, sich der aufgebrachten Meute aus Mutanten und anderem Gesocks entgegen zu stellen, hatten wohl kaum jemals wieder einem Sonnenaufgang beigewohnt…
Uchiha Sasuke, Gründer und Anführer von Team Hebi, hielt momentan Wache über sich und seine Begleiter. Während die anderen drei schliefen, hatte Sasuke die Umgebung durch halb geschlossene Lider streng im Blick und seinen scharfen Augen konnte selbst im trüben Halbdunkeln, das der klägliche Schein der Glut des herunter gebrannten Lagerfeuers schuf, zwar keine Farben wohl aber detaillierte Konturen erkennen. Nicht die leiseste Rührung, und wurde sie nur von einer Maus ausgelöst, konnte ihm entgehen. Seine Sinne waren schärfer als jedes Schwert.
Er saß mit dem Rücken zum Stamm einer mächtigen Eiche gekehrt, konnte sich so also der Sache sicher sein, dass ihm niemand in den Rücken fallen konnte. Das war zwar ohnehin nicht zu erwarten, aber sicher war sicher. Auch Sasuke legte wie sein ehemaliger Meister wert darauf, von niemandem entdeckt zu werden.
Im regelmäßigen Kreis begutachteten die Augen des jungen Ninja die Umgebung und wenn es galt, die Punkte genau neben sich zu inspizieren, drehte er den Kopf nur wenige Millimeter in die entsprechende Richtung. Die Bewegung war nur so gering, dass sie nicht auffallen konnte, und doch das Einflussgebiet seiner Augen soweit erweiterte, dass er sicher sein konnte, dass sich kein Feind unmittelbar neben ihm befand.
Außerdem waren auch die Ohren des Uchiha gespitzt wie die eines Luchs', der im dämpfenden Schnee seine Beute zu finden versucht, und vermochten sowohl jeden noch so heimlichen Windhauch in den Wipfeln der Bäume als auch das kleinste Knistern in den Büschen, die ihn und seine drei Weggefährten – ein Mädchen und zwei Jungen nebenbei bemerkt – umgaben, zu vernehmen. Dank seinen erstklassig ausgebildeten Sinnen und seiner unnachgiebigen Aufmerksamkeit hatte er so seine Umgebung perfekt unter Beobachtung und ließ demnach jedes Heranschleichen schier unmöglich werden.
Alle Sicherheit in Ehren, aber wie erwartet blieb auch die Wachschicht Sasukes, wie die vorausgegangenen der anderen dreien, in der der er selbst geruht hatte, ereignislos, geradezu langweilig. Doch Sasuke hatte jeden Augenblick sinnvoll genutzt. Er hatte jeden einzelnen Augenblick mit dem Schmieden von Plänen beschäftgt, die ihm später vielleicht mal von Nutzen sein konnten...
Bis zum Sonnenaufgang konnte nun nicht mehr viel Zeit verstreichen. Ein, zwei Stunden. Länger konnte es nicht mehr dauern, bis die Sonne den Himmel wieder für sich gewonnen hatte. Schon färbten nämlich die ersten Boten des Morgens den Himmel in ein kräftiges Violett, das nach und nach die Bläulichkeit verlor und röter wurde.
Jetzt stiegen auch langsam die Nebelschwaden vom saftig-grünen Gras herauf. Frischer Tau glitzerte in der jungen Morgensonne und ein würzig-frischer Duft erfüllte die Luft.
Sasuke schloss die Augen, ließ