Dear Children
unter anderem Mord…
Und dann meldete sich eine dritte Kinderstimme zu Wort. Sie flüsterte, und war Braden’s Meinung nach definitiv am erschreckensten: “Einmal habe ich sie ausgelacht. Sie hat mich getötet…”
Ohne jegliche Art der Vorwarnung, ertönte ein schrilles, beinahe schon wütendes Geräusch, dass in Braden’s Ohren stach und ihn dazu zwang, sie vor Schmerz mit seinen Händen zu schützen. Er sah zu Sloan hinüber, die sich mit zugekniffenen Augen herumgedreht hatte, als würde ihr dies in irgendeiner Weise helfen. Das Schrillen verstummte mit einem Mal und der Fernsehbildschirm färbte sich schwarz. War das ein Kurzschluss gewesen? Braden fluchte innerlich laut auf. Dieses Mistding hätte ihn beinahe zu Tode erschreckt!
Er stampfte zum Fernseher hinüber und fing an, dass Tape aus dem Reckorder zu zwingen, der sich stur geschlossen zu halten schien.
Seine schwarzhaarige Partnerin vergewisserte sich kurz, dass ihre Ohren keinen bleibenden Schaden davon getragen hatten und beobachtete den Braunäugigen schließlich nachdenklich. “Was machst du da?”, fragte sie leise und knipste das Licht an.
“Die verdammte Kassette hat sich hier verhakt!”, raunte Braden.
“Reg dich doch über sowas nicht auf…”
“Ich reg mich aber auf!”
Sloan atmete tief durch und verließ den Raum. Erst vermutete Braden, dass er möglicherweise irgendwie die Gefühle der Anderen verletzt hatte, auch wenn er das in erster Linie nie zu glauben gewagt hätte. Es war schwer diese Klette zu vertreiben, auch wenn er es niemals ernsthaft versucht hätte… Doch die Schwarzhaarige kehrte nur wenige Sekunden später wieder zurück, um ihm schweigend etwas Braunes unter die Nase zu halten. Der Braunhaarige hielt kurz in seinem Kampf gegen die verwünschte Technik inne, und besah sich das Objekt genauer. Es war ein schlichter, großer, brauner Umschlag. Ideal, um etwas Ähnliches wie eine Kassette damit zu versenden.
“Was willst du damit?”, fragte der junge Detective nur und massierte sich die Schläfen.
“Damit ist das Band hier angekommen. Die Adresse steht drauf”, informierte Sloan schlicht.
“Du willst da doch nicht hin?!”
Er hoffte, er hatte sich verhört, doch der Blick seiner Partnerin sprach Bände.
“Wieso?”
“Weil die Möglichkeit besteht, dass Kinder in Gefahr sind, Braden”, erklärte sie ruhig. “Und wenn dem so ist, ist es unsere Pflicht, dem nachzugehen.”
Ihr Partner schnaubte. “Ja klar, und hast du dich gefragt, warum man das ausgerechnet an uns adressiert hat? Das ist doch ‘ne Falle!”
“Und wenn schon. Das ist unser Job!” Sloan verschränkte unnachgiebig die Arme vor der Brust.
Braden überlegte kurz, dann seufzte er ergeben. Er hasste sich dafür, in ihrer Gegenwart nicht willensstärker sein zu können. “Okay. Komm. Lass uns deiner Karriere einen Schubs in die richtige Richtung verpassen.”
Sloan sah den anderen erst überraschend an, bevor ein strahlendes Lächeln auf ihren Zügen auftauchte.
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Die Fahrt hatte sie einige Minuten in verwinkelten Gassen gekostet und die Zieladresse hatte sich als, halb verlassen- und verrottetes, altes Haus herausgestellt. Jetzt beobachtete Braden seine ambitionierte Kollegin dabei, wie sie mit einer Taschenlampe und ihrer Pistole bewaffnet über die Glasscherben schlich, die schon lange keine Fensterscheiben mehr waren, vereinzelt verteilt auf dem Boden herumlagen und knirschende Geräusche von sich gaben, wann immer er versehentlich auf einen der kleinen Häufchen trat. Sloan zuckte jedes Mal leicht zusammen, und sandte ihm dann einen Blick, der so viel aussagen sollte wie »Ich warne dich! Ich bin ohnehin schon nervös genug…«.
Erst war Braden überrascht gewesen. Warum hatte man sie alleine ziehen lassen? War das nicht unverantwortlich? Andererseits ahnte er, dass sie nicht ernst genommen wurden, und das Band nicht als Beweis genügte. Außerdem schien an diesem Tag nichts mehr normal zu sein. Es war ein Wunder, dass er das nicht schon gespürt hatte, als er die Polizeiwache betreten hatte…
Sloan signalisierte ihm per Handzeichen dass sie sich aufteilen sollten.
Er willigte ein und beobachtete die Schwarzhaarige, wie sie die Tür, die vor ihr lag, vorsichtig aufschob und mit vorgehaltener Waffe in den Raum hinein schlich, bevor er selbst den Durchgang nach Rechts ansteuerte. An diesem Gebäude schien wirklich nichts Besonderes zu sein. Die Wände und Fenster waren so dreckig und kaputt, wie man es von jedem x-beliebigen alten Gemäuer zu erwarten hatte, dass schon mal mit Vandalismus Bekanntschaft schließen durfte.
Als Braden den Raum erreichte, in den der Flur führte, weiteten sich seine Augen vor Schreck. Erst wollte er rufen, bevor er sich dagegen entschied. Aus einem unerfindlichen Grund pochte sein Herz vor lauter Aufregung. Das Zimmer war komplett leer, aber es war dunkel. Und in dessen Mitte, stand ein einzelner Stuhl… Der junge Detective leuchtete mit seiner Taschenlampe auf das unschuldig im Raum herumstehende Mobiliar, bevor er den Raum absuchte. Nach was er suchte, wusste er selbst nicht genau, aber mit einem Mal beschlich ihn ein unglaublich schlechtes Gefühl. Wie eine Vorahnung.
Und gerade als der Braunhaarige seine Partnerin zu sich rufen wollte, drang ein lautes, angsterfülltes Keuchen zu an seine Ohren. Ohne zu zögern setzte er sich in Bewegung, und rannte auf das Zimmer zu, dass Detective DeAngelis gerade noch überprüft hatte. Braden wusste, er hätte diesen Laut eigentlich nicht mal hören können, so weit wie er von ihr entfernt gewesen war… Aber was war an diesem Tag schon normal?
Dem Braunhaarigen hätte nicht viel gefehlt, um die Tür einzutreten. Dieser Ort gefiel ihm nicht. Er weckte mehr als mulmiges Gefühl in ihm. Doch Braden hielt sich zurück und stieß die Tür stattdessen nur mit voller Kraft auf. Im Licht seiner Taschenlampe konnte er Sloan sehen, die ihm beinahe den Rücken zugewandt hatte und mit einem paralysierten Blick auf einen Spiegel starrte, der in der Wand verankert war. Eine große Scherbe war herausgebrochen, so dass die obere Hälfte fehlte, aber irgendwas schien trotzdem ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben… Für einen Moment war Braden, als würde ihr langer, schwarzer Zopf in einem seichten Wind wehen, aber er zwang sich wieder zur Besinnung. Es war komplett windstill. Vielleicht war dieser Raum mal ein Badezimmer gewesen.
“Dear Children, don’t worry about me”, drang es plötzlich sanft aus Sloan’s Mund.
Für eine kleine Weile hob Braden irritiert eine Augenbraue. Seine Partnerin schien nicht bei Sinnen… Das ungute Gefühl in seinem Magen verstärkte sich nur noch, und er wollte raus aus diesem Haus. Er wollte ihr sagen, dass sie sich offenbar getäuscht hatten, auch wenn er es besser wusste, und sie beide in Sicherheit wissen…
Und mit einem Mal ging alles ganz schnell. Sloan machte zwei Schritte auf den kaputten Spiegel zu, und zwei Hände, nein, Pranken schossen heraus, griffen nach der Schwarzhaarigen, zerrten sie herum und packten sie an der Kehle. Während Detective Casey das Gefühl hatte, dass sein Herz gleich aussetzen würde, schoss er wie selbstverständlich nach vorn, und versuchte den Arm seiner Kollegin zu ergreifen, um sie von diesem Ding wegzuziehen, doch Sloan tat nichts, um ihm zu helfen… Sie streckte die Hand nicht aus und sah ihm nur mit einem teilnahmslosen Blick entgegen.
Braden war, als läge sich die Luft wie Watte auf seine Ohren, so dass er alles gedämpft hörte. Er brachte kein Wort mehr heraus. Was tat sie? Wollte sie nicht gerettet werden? Wie in Zeitlupe starrte der Braunhaarige auf die Hände, die Sloan würgten. Sie waren an der Nagelhaut blau angelaufen und im Allgemeinen blass… Wie eine Leiche. Wie die Hände einer Toten. Die Nägel selbst hingegen waren lang und scharf…
Der Polizist ahnte nichts Gutes, als das Röhren eines Motors ertönte, und sich beharrlich und laut zu seinem Trommelfell voran kämpfte. Blut aus Sloan’s Kehle spritzte ihm entgegen, als die Pranken sich in die blasse Haut gruben. Er konnte über das Getöse, nicht mal das Reißen hören, dass die Finger erzeugten… Er schloss die Augen willkürlich und schob die Hände vor sein Gesicht, um sich vor den Sprenkeln zu schützen. Als mit einem Schlag die Geräuschkulisse verstummte, und Braden spürte wie ihm schwindelig und übel wurde, nahm er die Hände wieder herunter. Von Sloan DeAngelis war keine Spur mehr.
Der Braunhaarige hatte keinen Zweifel mehr. Man hatte sie in eine grausame Falle gelockt. Er fiel auf die Knie und versuchte gar nicht erst, gegen die Tränen anzukämpfen. Eine Sache aber, beschäftigte seinen vor Trauer verschleierten Verstand; Sloan’s Spiegelbild war nicht da gewesen. Was er gesehen hatte, war ein schneeweißes Kleid…
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Der inzwischen pensionierte Ex-Polizist, der auf den Namen Braden Casey hörte, erwachte aus seinem Alptraum, und fuhr sich mit rasselndem Atem durch das dünne Haar, das bereits damit anfing zu ergrauen, bevor er sich im Bett aufsetzte. Sein Herz schmerzte furchtbar, von dem Schock. Und das war nicht gut. Er war zwar alt, aber nicht so alt, dass er schon Kandidat für ein Herzleiden hätte sein können… Kurz hielt er sich schnaufend die Brust, bevor er aufstand, und nach unten in seine Küche ging, um sich ein Glas Wasser aus dem Kühlschrank zu holen.
Er fragte sich, was zur Hölle er sich da zusammengesponnen hatte? Natürlich vermisste er sie. Das hatte er immer. Würde sich vermutlich auch nie ändern. Aber so war das niemals passiert? Warum zwang sein Verstand ihn überhaupt, noch einmal an sie zu denken?
Mit schweren Schritten ging er zurück hinauf, um sich noch einmal von der Wahrheit zu