Dear Children
überzeugen. Braden knipste das Licht in seinem Arbeitszimmer an und schritt zu seinem Schreibtisch. Nachdem er seine ganz persönliche Schublade mit dem Schlüssel geöffnet hatte, den er immer bei sich trug, zog er einen alten vergilbten Zeitungsartikel hervor, den er sich hatte rahmen lassen. Weniger um das Geschriebene zu feiern, als um zu verhindern, dass die Worte verblassten und unleserlich wurden… Das Papier bewies eindeutig, dass Sloan DeAngelis zwei Wochen vor offiziellem Dienstantritt durch einen schweren Autounfall ums Leben kam. Fahrerflucht wurde begangen, und man hatte den Kerl nie gefasst. Sie sah jung auf dem Foto aus. Die schwarzen, glatten, langen Haare flossen an ihren Schultern hinunter. Durch das schwarzweiß der Zeitung waren diese jadegrünen Augen allerdings blass und leblos dargestellt…
Braden zuckte zusammen, als das Fenster in seinem Schlafzimmer mit einem lauten Knall zu fiel. Er fasste sich spielerisch ans Herz, obwohl er wusste, dass niemand darüber lachen könnte, weil er allein war, und steuerte sein Schlafzimmer an, um das Fenster ordentlich zu verschließen. Er würde gar nicht erst richtig in die Jahre kommen, wenn er so weitermachte und sich von allem und jedem ins Boxhorn jagen ließ!
Es war windig draußen, und womöglich hatte der Durchzug das Fenster so grob geschlossen.
Verwirrt blieb Braden im Türrahmen stehen. Sein Schlafzimmer war in Mondlicht getaucht und es war finster, aber er konnte deutlich sehen, dass sein Bett gemacht war, obwohl er es zerwühlt verlassen hatte… Und er konnte sehen, dass etwas Helles auf der Bettdecke lag. Misstrauisch pirschte der Ex-Polizist sich an sein Bett heran, als befürchte er, es könnte ihn auffressen.
Es waren Fotos. Drei an der Zahl, um genau zu sein. Er wusste, er hätte sich jetzt eigentlich bedroht fühlen sollen, weil offensichtlich jemand in sein Haus eingedrungen war. Aber er griff trotzdem nach den Fotos, als gäbe es nichts Wichtigeres. Es war außerdem ein beruhigender Gedanke, zu wissen, dass er seine Dienstwaffe nie abgegeben hatte…
Er brauchte eine Weile, um in dem spärlichen Licht zu erkennen, dass auf dem Ersten Augen abgebildet waren. Sie waren komplett schwarz… Es war schwer zu sagen, ob sich noch eine Pupille irgendwo da befand… Die weißen Augenbrauen, die sich kaum von der porzellanfarbenen Haut abzeichneten, waren wütend zusammengezogen. Die Haut um die Augenpartie war faltig und aschfahl, wie die eines alten Menschens…
Das zweite Bild trieb Braden schlagartig die Galle hoch. Ein Mund war zu sehen. Darin waren Zähne. Sie wirkten wie die eines Haies, oder als hätte man sie spitz gepfeilt. Sie waren nicht weiß, sondern gelblich, fast schon verfault und Blut quoll an einigen Stellen hervor. Geschockt hielt Braden sich die Hand vor den Mund, als würde dies den Würgereflex unterdrücken können. Verflucht, er bildete sich sogar ein, kleine Fleischstückchen hier und da hängen zu sehen. Der Mund war weit aufgerissen, und machte den Eindruck, als würde er manisch lachen.
Mit zitternden Händen besah der Ex-Polizist das letzte Bild. Es war das friedvollste. Eine junge Frau war darauf zu sehen. Sie saß auf einem einzelnen Stuhl, in einem sonst leeren Raum und hatte ihre behandschuhten Hände in den Schoß gelegt. Das Bild war direkt frontal aufgenommen worden. Sie trug ein Kleid, dass schwer an ein Hochzeitskleid erinnerte, und schneeweiß war. Es betonte die schlanke Figur. Obwohl sie einen Schleier vor ihrem Gesicht trug, konnte man klar erkennen, dass sie sanft lächelte, und eine Haut besaß, die an Porzellan erinnerte. Weiße, lange, glatte Haare, fielen ihr offen über die Schultern, und ließen sie wie eine Eisprinzessin wirken. Braden blinzelte. Erst jetzt erkannte er, dass jadegrüne Augen unter dem Schleier hervorblitzten. Wieso in Gottes Namen hatte er das nicht eher gesehen? Sein Herz schlug plötzlich um einen Takt schneller. Seltsam… Diese Frau sah aus wie…
“Dear Children, don’t worry about me…”, sagte eine sanfte, aber allzu gut bekannte Stimme hinter ihm in einem schauderhaften Sing-Sang.
Und dann röhrte ein Motor auf.