Fanfic: Berührungen ½ [5] ---RANMA ---

„Sie möchte dich einfach nicht in ihrem Leben haben. Die ganze Zeit über hast du dir etwas vorgemacht und das weißt du auch.“ Ranmas Augen wurden leer und glasig als er der weisen Stimme lauschte. „Für sie war es nie ein Kampf.“



Während Shampoo seine Hand nahm und ihn ungeduldig aus dem Klassenzimmer zerrte, wehrte er sich nicht. Wortlos schaute er Akane hinterher. Sie hatte sich längst wieder ihren Freundinnen zugewandt und stand mit dem Rücken zu ihm. Es vergingen nur wenige Sekunden, aber die Zeit schien still zu stehen. Er fokussierte sie, wanderte mit seinem Blick über ihr eigenartiges Katzenkostüm: die spitzen braun-schwarzen Plüschöhrchen, die sie sich mit einem Haarreif aufgesetzt hatte, das in den selben Farben gestreifte Schwänzchen, welches lustig hin und her wackelte, wenn sie sich nur ein wenig bewegte und die riesigen flauschigen Pfoten, die sie sich über Hände und Füße gestreift hatte und, wenn überhaupt, nur für eine Minute abnahm, um ihr Essen hastig herunterzuschlingen. Der Overall, den sie dazu trug, stand ihr überraschend gut. Er lag extrem eng an und betonte ihre zarte, weibliche Figur; die schmalen Schultern, den langen Hals, die Wespentaille. „Sie ist süß“, flüsterte Ranma entgeistert, als die Bilder um ihn herum plötzlich wie hinter einem dichten Nebel verschwommen. Geistesabwesend realisierte er nicht, dass er sich längst nicht mehr im Schulgebäude befand.



Wie ein Zombie saß er stumm mit starrem Blick auf der Wiese und ließ sich von der chinesischen Amazone füttern, mit seinen Gedanken stets bei einem ganz anderen Katzenmädchen. Das, welches nie so nett und süß zu ihm sein konnte, wie jenes Katzenmädchen unmittelbar vor ihm. Die Verwirrung in seinem Kopf nahm überhand und ließ ihn in Gedanken sämtliche Erinnerungen, die er mit Akane teilte, bereisen. Er musste an diesen dämlichen Kochwettbewerb denken, der zwischen Akane, Ukyo, Shampoo und Kodachi stattgefunden hatte. Was hatte sie sich dabei gedacht? Als wenn sie auch nur die geringste Chance auf einen Sieg gehabt hätte? Bei ihren Kochkünsten... Dabei fiel ihm auch wieder ein, wie fürchterlich sie ihn vor einiger Zeit ständig drängelte, ihre „Kekse“ zu kosten. Scheußlich waren die. Echt rücksichtslos von ihr, ihm so etwas vorzusetzen. Dann schweiften seine Gedanken weiter zu den unzählig vielen Schlägen in allen nur erdenklichen Variationen; mit schweren Holzhämmern, Tischen, Bratpfannen, Kannen, Fäusten, Küchengeräten,... Wann immer eine seiner anderen „Verlobten“ auftauchte und ihn anhimmelte, rastete sie aus. Sie war einfach hysterisch und brutal. Wenn es wenigstens einen vernünftigen Grund dafür gegeben hätte. Sie hasste ihn schließlich, das war nicht zu übersehen. Dennoch war sie allem Anschein nach eifersüchtig.



„Warum ist sie nur manchmal so unausstehlich?“ murmelte Ranma wie in Trance vor sich hin, ohne Shampoo auch nur ein Fünkchen Beachtung zu schenken. „Wie kann man nur eifersüchtig sein, wenn man nicht mal...“ Auf einmal leuchteten seine Augen auf. Konzentriert begann er all jene Erinnerungen, noch einmal zurückzurufen. Dieser Kochwettbewerb, der galt doch schließlich ihm. Er, Ranma Saotome, war der Hauptpreis. Sozusagen. Und die Kekse durfte niemand anderes probieren. Sie hatte sie extra für ihn gebacken und sich dafür sogar mehrere Backbücher gekauft. „Sie schien wirklich traurig gewesen zu sein, als ich sie erst nicht essen wollte“, murmelte er weiter. „Und als ich es dann doch tat, erhellte sich ihr Gesicht vor Freude.“ Angestrengt überlegte er. Bisher hatte er immer vermutet, dass sie unwahrscheinlich schadenfroh gewesen sein musste, wenn sie sich so darüber freute, dass er dieses widerliche Gebäck herunterschlucken musste. Als er aber nun genauer darüber nachdachte, erkannte er, dass dieses strahlende Lächeln, das sie ihm damals geschenkt hatte, viel zu freundlich und warm war, als dass es einen derartig gemeinen Hintergrund haben könnte. Außerdem war es eigentlich gar nicht Akanes Art, so mies zu sein. Jedenfalls nicht in diesem Sinne. Schließlich konnte sie auch ganz schön fest zuschlagen, wenn die anderen Mädchen ins Spiel kamen und sie sich zwischen ihnen beiden drängten. Ranma hielt erschrocken seinen Atem an. Zwischen ihnen! Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Sie hasst mich gar nicht. Sie ist einfach nur genauso stur wie i—Ehh... sie will einfach nicht zeigen, dass sie mich mag. Oder zumindest, dass ich ihr nicht egal bin.“ Ein Lächeln legte sich über sein Gesicht. „Ob sie... mich mag?“ fragte er sich und spürte deutlich, wie sich seine Wangen rot färbten, als er auf einmal etwas schweres an seiner Brust bemerkte. Erschrocken schaute er hinunter.



„Aiya! Aber Airen, natürlich mag Shampoo dich. Wir heiraten, ja?“



„Hyaaaaahh!!!!“ Mit einem Sprung befreite sich Ranma von seiner aufdringlichen, selbsternannten „Verlobten“ und starrte sie aus einem mehr oder weniger sicheren Abstand von einigen Metern mit weit aufgerissenen Augen an. „Shampoo! Was machst du denn hier?“ keuchte er atemlos.



Sie blickte ihn verwundert an und schien auf Anhieb die richtigen Worte nicht gefunden zu haben. Allein der Schulgong rettete ihn aus dieser unangenehmen Situation.



„Ich muss weg“, rief Ranma eilig und verschwand mit schnellen Schritten im Schulgebäude. „Ob sie mich wirklich mag?“ fuhr es Ranma wieder in den Sinn. Es begann seltsam in seinem Baum zu kribbeln. Hastig riss er die Tür zum Klassenzimmer auf. Glücklicherweise war der Lehrer noch nicht da. Sein Blick fiel als erstes auf Akane. Sie saß bereits auf ihrem Platz. Um sie herum standen ein paar Mädchen. Akane erzählte etwas und alle fingen an zu lachen. Auch sie. Vergnügt schloss sie ihre Augen und hielt sich schüchtern die leicht gekrümmten Finger vor ihren kleinen, roten Mund. Dann öffnete sie wieder fröhlich ihre Augen und setzte mit erhobenem Zeigefinger an, weiterzureden. In dem Moment sah sie ihn plötzlich vor sich stehen, lächelnd, aufgeregt und ein wenig so, wie er ihr so oft in ihren Träumen erschienen war. Sie hörte abrupt auf zu erzählen und ihre Mundwinkel sanken schlagartig nach unten. Mit auf ihm gerichteten Blick weiteten sich ihre Augen, als hätte sie einen Geist gesehen. Sofort stieg ihr die Röte ins Gesicht. Ihre Freundinnen stupsten sie leicht an, um sie aufzufordern, weiter zu reden, doch sie blieb still. Beschämt sank ihr Blick zu Boden. Sie fluchte. Ranma hatte es nicht gehört, aber er konnte es von ihren Lippen ablesen. Langsam verschwand auch sein Lächeln wieder. Auf dem Weg zu seinem Platz überlegte er, ob er denn total falsch gelegen hätte. Dann erst wurde ihm die Bedeutung ihrer Veränderung wirklich bewusst. Vielleicht hatte sie ihn irgendwann einmal gemocht. Aber nun war er ihr egal. Sie scherte sich nicht mehr darum, mit wem er sich traf oder wessen Essen er zu sich nahm. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Aber warum auf einmal? Was hatte er in letzter Zeit anders gemacht als früher? „Seit dem Tag, an dem ich hier angekommen bin“, dachte er sich „hatten wir uns immer nur gestritten. Oder fast immer. Sie hat mich beleidigt und mich geschlagen. Ich hätte wohl auch netter zu ihr sein können. Obwohl es stimmt, sie ist tatsächlich ein Machoweib. Oder ’war’ sie es eher? Kann es denn sein...? Seit wir uns kennen, habe ich mich ständig darüber aufgeregt und mir gewünscht, dass sie anders wäre. Und jetzt...“ Er runzelte die Stirn. In seinen Augen glänzte für einen Moment etwas auf, das wie Furcht aussah. „Jetzt vermisse ich dieses ‚unausstehliche Machoweib’...“.



Der Unterricht hatte bereits angefangen. Er schaute zu Akane, die wieder in ihrer normalen Schuluniform dasaß. Ihr dunkles Haar hing glänzend über ihrem zierlichen Nacken. Mit dem Kopf nur leicht zu ihr geneigt und dem Kinn in die Hand gestützt beobachtete er, wie sie sich einen Stift nahm, um aufzuschreiben, was der Lehrer diktierte. Ihre Haltung, jede ihrer Bewegungen war so anmutig und doch nahm er ein leichtes Zittern ihrer Hände wahr. Ob sie wirklich so konzentriert beim Unterricht war, wie sie vorgab? Sie wirkte so lieb und unschuldig, wie nie zuvor – in wachem Zustand.



„Woran sie wohl gerade denkt?“



Als sie sich zu ihrer Tasche hinunterbeugte und sich dafür leicht zur Seite drehte, erkannte er ihr Profil und bemerkte wieder dieses seltsame Etwas in ihrem Gesicht. „Ach Akane...“, seufzte sein Herz als seine Augen und all seine Sinne nicht von ihr lassen konnten.



Ranma war nicht mehr dazu gekommen, sich näher mit den Überlegungen der letzten Schulstunde auseinander zu setzen. Er konnte sich noch nicht mal dazu entscheiden, ob er Akane ganz offen auf ihre Veränderung ansprechen sollte, denn sein Vater bestand darauf, dass sie ohne jede Verzögerung auf der Stelle abreisten. Als Ranma sich allmählich sammelte und ihn wütend nach dem Grund für die plötzliche Hektik fragte, bekam er jedoch keine Antwort, da Genma es wieder einmal vorgezogen hatte, die Welt als Panda zu durchforsten. Ranma hatte seine Ausreden und sein peinliches Verhalten so satt und war drauf und dran, ihn wie so oft zuvor mit einem kräftigen Tritt in des Pandas Allerwertesten in den Gartenteich zu befördern, hielt dann aber im letzten Moment inne und seufzte resigniert.



Er schaute zu Akanes Zimmertür, zu ihrem Namensschildchen in Form einer kleinen gelben Ente, zu dem Türgriff, den sie jeden Tag scheinbar so bedeutungslos mit ihren zarten, kleinen Händen berührte. Einen Augenblick lang war er still und ignorierte das nervöse Tanzen des dicken Pandas, der bereits in Aufbruchstimmung war. Sehnsüchtig stellte Ranma sich vor, wie es wäre, wenn alles wieder beim Alten sein würde.
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